Mittwoch, 22. Juni 2011

Shymkent (KZ)

Kurz bevor sich unsere Zeit in Kasachstan schon dem Ende naehert (zumindest, wenn alles so klappt, wie wir das in den letzten Tagen "ausbaldowert" haben), kriegen wir tatsaechlich noch eine "echte" kasachische Stadt zu sehen. Ok, auch Attyrau und Kisilorda waren nicht klein, aber hier in Shymkent kommt zum ersten Mal das Gefuehl auf, sich in einer gewachsenen, geschaeftigen und quirligen Stadt zu befinden. Was uns prompt dazu motiviert hat, hier gleich zwei Ruhetage einzulegen - die hatten wir uns aber nach dem Rad-Marathon, der uns hierher gebracht hat, auch verdient.


Unsere erste Pizza seit Wochen, die diesen Namen auch verdient. Entsprechend gierig macht sich Bjoern darueber her wie man sieht.
Wie in vielen kasachischen und russischen Staedten gibt es auch in Shymkent einen Park, der sich der Kinderbelustigung verschrieben hat und in dem sich vom spaeten Nachmittag bis in den fruehen Abend gross und klein tummeln.

1. Tag
In Kisilorda zu starten, erfordert hoechste Willensanstrengung - bedeutet dies schliesslich, Klimaanlagen, Duschen und gekuehlte Getraenke hinter sich zu lassen und sich voellig ungeschuetzt der unsagbaren Hitze auszusetzen. Aber unsere Disziplin wird belohnt - und zwar reichlich. Zum einen ist die Strasse hinter Kisilorda top. Schoener noch: Wir koennen etliche Kilometer ganz alleine fuer uns auf den 50% der vierspurigen Strasse fahren, die bereits fertig ausgebaut sind, waehrend sich die Autos und LKWs (so langsam nimmt der Verkehr leider deutlich zu) mit der alten Strasse begnuegen muessen. Dazu kommt ein aussergewohenlicher Gluecksfall (so aussergewoehnlich, dass ich mich an keine andere Strecke erinnern kann, auf der uns dies jemals widerfahren waere): Ausgerechnet an einem Tag, an dem unsere Route ohne irgendeinen Knick, absolut straight gen Sued-Osten geht, haben wir einen kraeftigen Nordwest-Wind... Das macht Freude :-) Ohne allzuhart daran zu arbeiten, radeln wir an diesem Tag knapp 190 km. Tatsaechlich spielen wir noch mit dem Gedanken, die einmalige Gelegenheit zu nutzen und die 200-Marke zu knacken. Aber, so denken wir uns, Zahlen sind doch nur Schall und Rauch. Viel reeller ist nach 8 Netto-Stunden in der bruetenden Hitze die Dusche der Gastiniza, vor der wir bei km 187 stehen. Also: Mit 2 zu 0 Stimmen faellt die Entscheidung auf Abkuehlung und gegen den Streckenrekord (eine Entscheidung, die wir Stunden spaeter, als wir uns schlaflos in unseren Betten waelzen, weil wir zweifellos am lautesten Ort ganz Kasachstans untergekommen sind, doch noch in Zweifel ziehen.... Hochzeitsfeiern sind fuer uns ab sofort ein schlagendes Argument auch gegen die verlockendste Unterkunft).

Wenn die Strasse so huebsch in den Huegel gefraest ist, spart man sich glatt noch ein paar Hoehenmeter. Praktisch.


Tag 2
Das Wunder geht weiter - der Wind schwaecht zwar ein wenig ab, blaest aber dennoch munter weiter in unsere Richtung. Nach der wenig geruhsamen Nacht und den km vom Vortag, sind wir aber nicht ganz so willig, die guenstigen Umstaende zu nutzen und quartieren uns nach rund 110 km in Turkestan ein. Hier gibt es ein sehr beruehmtes Mausoleum zu bewundern, was die Stadt zu einem bedeutenden Pilgerort macht. Drei Pilgerreisen nach Turkestan sollen aequivalent zur Haddsch nach Mekka sein (danke Wikipedia :-)). Von dieser Moeglichkeit scheinen nicht allzu viele Muslime Gebrauch zu machen, denn wenn auch die Anlage um das Mausoleum auf deutlich mehr Besucher ausgelegt zu sein scheint, ist es recht ruhig, als wir einen Blick in das Mausoleum werfen. Mein 1. Mal mit Kopftuch: Die liegen am Eingang praktischerweise fuer alle unglaeubligen Besucherinnen bereit, ich habe aber - gute Vorbereitung sei dank - tatsaechlich mein eigenes dabei ;-)).

Und so sieht das dann aus, mit dem Kopftuch.

Das Mauseoleum von  Khoja Ahmad Yasavi.
Abends wollen wir uns im Hotelrestaurant ein leckeres Essen goennen. Wir hoffen, dass der tuerkische Einfluss in dieser Region mit der religioes-kulturellen, auch die kulinarische Sphaere erfasst hat. Denn so sehr wir uns waehrend des Radfahrens ueber Cafezis am Strassenrand freuen, das jeweils durchgehend exakt gleiche Essens-Angebot (der Dreiklang aus Borsch, Pelmeni und Manti....), laesst uns nach Abwechslung duersten. Tatsaechlich drueckt man uns eine vielversprechende Karte in die Hand, nur um die geschaetzt 50 Gerichte, die hier stehen, in einem Streich auf knapp 5 zu reduzieren. Mehr ist halt nicht da (in diesem wie immer deutlich zu pompoesen Restaurant mit den riesigen, komplett eingedeckten Tischen....). Noch bitterer wird es, als wir ein Bier bestellen und der Kellner dafuer nicht mehr als ein hoefliches Laecheln ueber hat. Ok, hier nimmt man es anscheinend doch ein wenig ernster mit der Religion. Also, essen und trinken wir, was da ist (das allerdings zur masslosen Verblueffung des Kellners gleich in doppelter Ausfuehrung. Das kasachische Essen mag deftig sein, die Portionen sind nach unserem Geschmack aber oft viel zu klein).

Immer haeufiger saeumen Wassermelonen-Staende unseren Weg - eine kleine Abwechslung in unserem Speiseplan, die wir gerne nutzen.

Schatten - Mensch und Tier nutzen jede Gelegenheit, um der Sonne zu entfliehen.


Tag 3
Und er ist immer noch da, der Wind :-) Leider geht uns unser zweiter Vorteil immer mehr verloren. Die Strasse wird zunehmend schmaler und schlechter, waherend der Verkehr weiter zunimmt. Nachdem wir uns schon an die Ruecksichtnahme kasachischer Auto- und LKW-Fahrer gewoehnt haben, heisst es nun, immer aeusserst vorsichtig und vorausschauend zu fahren - und im Zweifelsfall schnell den (nahezu unbefahrbaren) Seitenstreifen anzusteuern. Nach 120 km erreichen wir unseren Zielort, der einen sehr netten Eindruck macht, aber leider nicht mit einer Gastiniza dienen kann. Zum Wildzelten fehlt die Deckung und zudem ist uns hier zuviel los, also legen wir noch einmal 40 km drauf und steuern Shymkent an. Das fordert doch noch ein wenig Kraft, wird die Landschaft doch zunehmend huegeliger, aber schlussendlich kommen wir am fruehen Abend an und finden dank der tatkreaftigen Hilfe zweier junger Mopedfahrer eine nette Unterkunft zum bezahlbaren Preis (diese abendliche Suche ist oftmals um einiges nervenstrapazierender und anstrengender als der gesamte Radtag. Wenn wir, wie in diesem Fall, schon nach der 2. Anfrage fuendig werden, ist dies ein echter Gluecksfall. In Kisilorda haben wir nicht weniger als 6 Hotels angesteuert, bis wir endlich ein Zimmer hatten).

Wie bereits einleitend geschrieben, naehert sich unsere Kasachsten-Zeit damit dem Ende. Zwar dauert es noch ueber einen Monat bis unser kirgisisches Visum beginnt, aber es scheint eine Sonderregelung zu geben, wonach mit einem kasachischen Touristenvisum auch die drei noerdlichen Regionen Kirgistans (inkl. Bishkek) bereist werden duerfen (an dieser Stelle noch einmal ein groesses DANKE SCHOEN an Bernd fuer seine Recherche-Unterstuetzung!). Ob diese pragmatische Loesung auch in der Realitaet der Grenzer angekommen ist, wird sich dann in den naechsten Tagen zeigen.

Nur fuer den Fall, dass alles funktioniert, wie geplant, hier zum Abschied, noch eine kleine, in hoechstem Masse unvollstaendige Liste, einiger kasachischer Besonderheiten, die uns in den letzten Wochen ins Auge gefallen sind:

Nasarbajew-Plakate....
Vor dem fotogenen kasachischen Praesidenten, der seit der kasachischen Unabhaengigkeit an der Macht ist und das Amt auf Lebenszeit innezuhaben scheint, gibt es in Kasachstan kein Entrinnen. Jedes Dorf, sei es noch so klein, ist grosszuegig mit Plakaten ausgestattet, die Nasarbajew bei den verschiedensten Amtshandlungen zeigt (Eroeffnungen oertlicher Hotelketten, Besuch des hiesigen Krankenhauses...). Das Faszinierende ist dabei weniger die schiere Menge an Plakaten, sondern dass tatsaechlich kein einziges doppelt aufzutreten scheint. Nach einer kurzen statistischen Hochrechnung duerfte jeder einzelne der rund 15 Millionen Kasachen im Laufe seines Lebens mindestens 1-2mal mit Herrn Nasarbajew zum Fototermin gerufen werden.

12%-Steigungen
Ein Phaenomen, das wir vor allem in West-Kasachstan bestaunen durften. Vor ausnahmslos jeder Steigung und jedem Gefaelle, steht ein Schild, das den entsprechenden Neigungswinkel mit 12% angibt. Das sorgt auf Radfahrer-Seite zunaechst fuer Erschrecken, bis man erkennt, dass diese Angabe keinen erkennbaren Bezug zur Realitaet hat und vermutlich einer Sparmassnahme im Strassenbauministerium zu verdanken ist. Umso schlimmer trifft es einen dann natuerlich, wenn die obligatorische Angabe dann mal einen Glueckstreffer landet....

Die kasachischen Steigungen werden einfach masslos ueberschaetzt - deutlich zu erkennen am flachen Hintergrund.


Internet-Clubs
Die gibt es hier zuhauf, nicht selten drei, vier nebeneinander... Aber der gemeine Reisende sollte sich trotz der vermeintlich eindeutigen Namensgebung keineswegs der Illusion hingeben, in einer dieser Laeden einen Internetanschluss vorzufinden. Diese sind die Ausnahme, da die Internet-Clubs zwar mit Rechnern vollgestopft sind, die aber ausschliesslich zum zocken dienen. Das fuehrt dazu, dass wir immer erst drei, vier Laeden ablaufen, unser Naeschen zur Tuer reinstecken und "Internet?" fragen, bis wir, wie hier, endlich fuendig werden. Die zweite Frage ("USB?") wird leider auch dann zu 99% mit nein beantwortet, was uns wieder mal vor die Frage stellt, wie wir unsere Fotos ins Netz bringen sollen.

Neben diesen Besonderheiten gibt es zahlreiche weitere Eigenarten, die wir ab sofort mit Kasachstan verbinden werden (Strassenfegerinnen, die landesweit ausschliesslich mit einem 50cm-Besen zu Werke gehen; die sofortige Frage, ob man verheiratet ist und Kinder hat usw. usf). Vor allem aber die Tatsache, dass die Menschen hier sehr offen und freundlich auf "Touristas" wie uns zukommen.

Wir sind schon gespannt, was wir aus Kirgistan zu berichten haben werden - und vor allem, ob der naechste Post tatsaechlich aus Kirgistan kommen wird. Ihr seid also mal wieder aufgerufen, uns die Daumen zu druecken!

Liebe Gruesse!

Martina und Bjoern 

4 Kommentare:

  1. Heeeejjjaa Tourista ;-)
    das ist ja mal wieder ein Bericht genau nach unserem Geschmack. Aber nicht so schnell fahren - sonst seid Ihr schneller zu Hause als mir lieb ist ;-) Wir drücken trotzalledem ganz heftig unsere Daumen, damit Ihr heile nach Kirgistan und weiter kommt. Wir sind schon jetzt ganz gespannt auf den nächsten Bericht und die tollen Bilder.
    LG Ilona & Karl-Heinz

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  2. Wir drücken auch die Daumen! :-)
    Und besser ist es auch, wenn ihr schnell das Land verlasst, indem Tinchen ohne Kniebedeckung ein Mausoleum besucht. Ich meine ist ja keine Kirche, aber wenn man sogar ein Kopftuch braucht...
    ;-)

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  3. Hey wenn euer fortbewegungsdrang so bestehenbleibt schafft ihr mehr KM als ich in meinem Job bei diesem Staugefahre( die NRW Wandalen haben einige Tage frei).Bei der hostel Suche könnte man ja mal den Trick mit dem Kopftuch probieren zwecks steigerung der Erfolgsquote(Test)eine mir oft gestellte Frage:haben die noch das erste Fahrrad?Wo ist eigentlich das Catering Auto und das Dixi Klo Nun Gut schön wie es läüft bewundere Euch.

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  4. sehr schöber Bericht wie immer! Vollgas weiter Ihr zwei, dann schafft ihr es auch bis nach Vietnam ;-)

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