Mittwoch, 15. Juni 2011

Kisilorda (KZ)

Nachdem wir uns 14 Tage und knapp 1.600 km lang ohne Unterbrechung durch die Steppe gekaempft haben, goennen wir uns nun endlich die dringend benoetigte Regenerationszeit. Und haben uns dafuer hier in Kisilorda eine sehr chicke Unterkunft gegoennt, in der wir nun wieder saemtliche Vorzuege der Zivilisation (gekuehlte Getraenke, Klospuelung, Klimaanlage...) geniessen. Seit dem letzten Eintrag ist schon wieder soviel passiert, dass ich gar nicht so recht weiss, wo ich anfangen soll. Vielleicht einfach beim Ende des vorletzten Eintrags...

"Bitterlich bereuen" mussten wir unsere Entscheidung fuer den Pattweg keineswegs - und zwar aus dem einfachen Grund, dass wir uns (mal wieder, fast schon unser Markenzeichen) im letzten Augenblick umentschieden haben. Hierzu reichten zwei Worte einer Einheimischen, die den Weg unserer Wahl als "like Sahara" charakterisierte. Und wenn auch die meisten Hindernisse auf dem Rad (Wind, Steigungen, Wellblech...) mit etwas Kraft und noch mehr Geduld zu meistern sind, geht eines leider gar nicht: feiner Sand. Also haben wir doch den Schlenker gemacht und sind 180 km weiter noerdlich auf die Araltrasse gestossen. Die wird akutell in einer grossangelegten Aktion ausgebaut. Eine Tatsache, uber die wir zu Beginn, als feinster, neuester Asphalt vor uns lag, noch ganz aus dem Haeuschen waren vor Freude. Diese hat sich nunmehr, nachdem wir festgestellt haben, dass die Baustellen-km die Anzahl der Neuasphalt-km bei Weitem uebersteigt ein wenig gelegt (auch die Baustellen sind hier, wie ihr euch denken koennt, anderer Natur. Die Umgehungs"strassen" bestehen mal aus groben Gestein und mal aus soviel Sand, dass uns jedes kreuzende Auto in eine so dichte Staubwolke huellt, dass wir minutenlang im Blindflug unterwegs sind....).

Baustellen - wenn man ganz viel Pech hat, muss man auch mal schieben. Dieser Sand stellt fahrend einfach ein nicht zu bewaeltigendes Hindernis dar (und schiebend eigentlich auch... puhhh...)

Eine chronologische Zusammenfassung all der Ereignisse und Begegnungen der vergangenen Tage wuerde hier deutlich zu weit fuehren. Deswegen nachfolgend nur eine kleine Auswahl unserer Erlebnisse, um euch einen kleinen Eindruck zu vermitteln, wie abwechslungsreich das Fahrradfahren auf kasachischen Strassen ist (von dem ich zu Beginn angenommen hatte, es sei aufgrund der durchgehenden Steppenlandschaft eher eine Geduldsprobe als eine sportliche Herausforderung ;-))

- Wir fahren durch eine Baustelle. Diese ist schon weit gediehen und die neue Teerdecke ist quasi fertig. Die Jungs von der Baustellen rufen uns zu, wir sollen runter von der improvisierten Umgehungsstrasse und rauf auf die neue Trasse kommen. Oben angekommen werden wir dazu eingeladen, unter dem Wasser-LKW eine kleine Erfrischungsdusche zu nehmen. Herrlich :-) Vorab hatten wir zufaellig schon den Baustellenleiter in einem der "Cafezis" kennengelernt. Dieser hatte Bjoern spontan zum Essen eingeladen und postiert sich nun jedes Mal, wenn wir ihm begegnen (was auf seinen Kontrollfahrten desoeferten vorkommt), um uns mit seinem Handy zu filmen.

Die Jungs von der Baustelle mit dem frisch "geduschten" Bjoern.

Wir sind die ersten auf der neuen Strasse, auf der noch einige Hindernisse an den Bau erinnern.

Hier sind die Arbeiten noch nicht ganz so weit gediehen, aber immerhin ist die "Ersatzstrasse" in diesem Fall eine recht angenehme Alternative.
- Wir fahren durch eine Baustelle (ja genau, mal wieder). Der Fahrer eines Kipplasters haelt an, um ein Foto von uns zu machen. Aus der Gegenrichtung kommt ein Bulli, der ebenfalls anhaelt. Aber keineswegs, um sich zu beschweren, dass wir die Strasse versperren. Nein, die beiden Jungs steigen aus und zuecken ebenfalls ihre Handys, um uns zu fotografieren. So stehen wir da um 8 Uhr frueh, nach einer weiteren Nacht in den Bueschen, ungewaschen und zugestaubt, und vor uns fuchteln drei Maenner mit ihren Handykameras. Bin sehr froh, dass ich mir diese Bilder niemals werde angucken muessen. 
Noch mehr Baustellenjungs (und dazwischen etwas weniger orange - der Bjoern).
- Statt im Busch schlafen wir ausnahmesweise mal in einer Stadt (Toeretam). Abends gehen wir in einen kleinen Getraenkeshop, um uns Wasser und Feierabend-Bier zu kaufen. Der Besitzer fragt direkt, ob wir die Leute mit dem Fahrrad seien und laedt uns nach unserer positiven Antwort, zu dem Bier ein. Vor dem Laden kommt ein Mann auf Bjoern zu, fragt "Tourista?" (eine oft gestellte Frage im Uebrigen, gerne in Verbindung mit der Frage nach unserem "Sponsor"...), klopft ihm freundlich auf die Schulter, als wir dies bejahen und geht dann seines Weges.

- Wir fahren durch eine Baustelle (ich spare mir weitere Kommentare ausser dem, dass es sich tatsaechlich jedes Mal um eine andere Baustelle handelt). Ein Baustellen-LKW kommt uns entgegen, haelt, ein Mann springt mit einem strahlenden Laecheln aus dem Fuehrerhaus, drueckt mir eine Sicherheitsweste in die Hand, steigt wieder ein und faehrt von dannen.

So koennte ich nun noch eine ganze Zeit lang weiterschreiben. Aber natuerlich ist auch hier nicht alles immer heititei und eitel Sonnenschein. Beispiel Aral und Baikonur: Den letzten Eintrag hatten wir aus Aral gepostet, wo wir urspruenglich einen Ruhetag einlegen wollten. Von diesem Gedanken hatten wir schon nach einer knappen halben Stunde vor Ort ebenso schnell wie deutlich Abstand genommen. Staubig, schmutzig und alles andere als charmant hat die Stadt alles in allem so wenig zu bieten, dass wir den "Busch" dann doch vorgezogen haben.

Einfahrt in Aral: Neben diesem Tor hat der Ort nicht viel (oder auch einfach: nichts) zu bieten.

Stattdessen hatten wir uns einen Ruhetag in Baikonur versprochen. Als wir nach zwei Tagen endlich vor den Toren der Stadt standen, von der aus die Russen ihr Raketenprogramm leiten, stellen wir fest, dass die "russische Verwaltung", unter der Baikonur steht, keineswegs nur eine Formalie ist. Nein, wir stehen tatsaechlich vor einem Wachposten, der uns erklaert, wir wuerden ein "special document" benoetigen, um in die Stadt zu duerfen (und wir reden hier wirklich von der Stadt, nicht etwa von der Raketenbasis, die einige km entfernt in der Steppe liegt). Mehr nicht. Kein Wort dazu, von was fuer einem Dokument die Rede ist, keine Bitte oder auch Aufforderung, uns irgendein Dokument zu zeigen. Ob dies eine subtile Aufforderung zur Bestechung ist, werden wir wohl nie erfahren. Stattdessen drehen wir - zugegebenermassen sehr frustriert - um und suchen uns im Nachbarort (dem oben erwaehnten Toeretam) eine Gastiniza.

Am naechsten Tag macht uns der Wind so sehr zu schaffen, dass wir schon nach 80 km eine Unterkunft suchen wollen. In Josali, das zufaellig unseren Weg kreuzt, soll es tatsaechlich eine Gastiniza geben, wie wir erleichtert hoeren. Kaum aber, dass wir in die Stadt abgebogen sind, haelt uns ein weisser Lada da, der schon zuvor um uns herumscharwenzelt ist. Drinnen sitzen zwei Polizisten, die unseren Pass und unsere Registrierungspapiere sehen wollen und uns anschliessend erklaeren, Josali sei "sakrito" (geschlossen). Wir sollten in den naechsten Ort fahren, der sicher eine Unterkunft fuer uns haette. Unseren Hinweis darauf, dass die 70 km bis dorthin kaum noch mit dem Rad zu schaffen seien, werden mit dem freundlichen Hinweis "Autobus" beiseite geschoben. Warum? Wir haben nicht die geringeste Ahnung und versuchen stattdessen, uns in Zen-maessiger Gelassenheit zu ueben (was Bjoern zugegebenermassen besser gelingt als mir), fahren noch 50 km und schlagen uns in die Buesche (wo just als unsere Nudeln gar sind, eine grosse Rinderherde 5 Meter neben unserem Zelt vorbeizieht. Bjoern bewaffnet sich mit einer Zeltstange, um im Zweifel uns und unser Abendessen verteidigen zu koennen, aber abgesehen von einigen neugierigen Blicken bleiben wir unbehelligt).

Bjoern in Nahkampf-Position: Die Kuehe gehen - sichtlich beeindruckt - auf Abstand.

Ausruhen in einem Cafezi - seit einigen Hundert km verzichten wir zwangsweise auf Stuehle, was sich alles in allem als recht angenehm erweist (und so manches Mal fast dazu verfuehrt, ein wenig zu doesen). 

Die Kinder unserer Cafezi-Frau werden zu zwei Dritteln gerne fotografiert.

Ganz klein im Bild: Der Bjoern auf Zeltplatz-Suche (und das, kann ich nur sagen, ist wirklich eine Wissenschaft fuer sich ;-))
Nachdem wir so systematisch um unsere geplanten Ruhetage gebracht wurden, werden wir uns hier in Kisilorda wohl etwas laenger aufhalten. Und das in netter Gesellschaft. Denn wie es der Zufall will, haben wir 100 km vor der Stadt Andrej kennengelernt, einen gebuertigen Kasachen, der heute in Sankt Augustin (also quasi in direkter Nachbarschaft zu uns) wohnt ;-). Andrej ist uns hier eine grosse Hilfe, hat gestern keine Muehen gescheut, um uns bei der Hotelsuche zu unterstuetzen und hat heute u.a. eine Waescherei fuer uns ausfindig gemacht (auf der Liste der elementaren To Dos hat Waesche waschen nach 14 Tagen on the road deutlich an Prioritaet gewonnen).

Andrej, 2. von links, (hier mit zwei seiner Freunde und Bjoern) gehoert zu unseren extrem hilfsbereiten Reiseengeln, die uns viele Hindernisse aus dem Weg raeumen.
Gleichzeitig werden wir hier die Gelegenheit nutzen, unsere weitere Reiseroute zu konkretisieren. Da sind doch noch einige Fragen offen, Visa zu organisieren etc. Und wenn wir gerade nichts zu tun haben, dann lehnen wir uns zurueck und "geniessen" das ultrakontinentale Klima. Fuer heute sind unglaubliche 41 Grad angesagt...

Verschwitzte Gruesse senden euch

Tina und Bjoern

P.S. Aus irgendwelchen Gruenden scheint die Blogger-Seite in Kasachstan systematisch gesperrt zu sein... Deswegen koennen wir zwar bloggen, den Blog selbst aber nicht aufrufen. Seht es uns also bitte nach, sollte doch mal ein Foto doppelt auftauchen oder sich sonstige Fehler einschleichen, die von uns unbemerkt geblieben sind.

3 Kommentare:

  1. Hei Tourista!
    Schön von Euch zu lesen :-) Es wird ja auch immer spannender und eure Abenteuer lassen unsere Phantasie ganz schön blühen - die Bilder verstärken das auch noch. Mögen auch weiterhin genug Reiseengel bei Euch sein.

    LG Ilona & K.-H.

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  2. Baikonur – Ja, an Baikonur kann ich mich gut erinnern. Mein Kollege hatte den lustigen Einfall den üblichen gelangweilten „Grenzschützern“ statt Rubeln den guten Benjamin Franklin zuzustecken. Es hat fast vier Stunden (und drei Flaschen widerlichen Vodkas) gebraucht, bis sie sich davon überzeugen ließen, dass wir harmlose Investoren seien.
    Viel verpasst habt ihr in Baikonur selbst dennoch nicht – die Stadt diente seinerzeit hauptsächlich der Verschleierung. Tjura Tam lag viel näher am Kosmodrom, aber die Stadt gibt es ja nun nicht mehr. Das Kosmodrom war bzw. ist wohl immer noch beeindruckend: groß, wie der Russe es gern hat. Und genauso inhaltsleer: Die Versuche an Interkontinentalen Langstreckenraketen sind eher einfach gehalten, es gibt sogar noch Exemplare mit kryogenem Flüssigtreibstoff (rofl). Das kalorische Termalkraftwerk schafft als Spitze 600 Megawatt, also in etwa dem Mittellaufwert der Ishimura… Die Schäden dürften ja nun beseitigt sein, aber es wäre interessant gewesen, ob die MIG mit dem Myonen-Katalysator im Fusionsantrieb endlich ausgereift ist. Also, grämt euch nicht zu sehr, Baikonur ist zu offensichtlich, als dass sich dort wirklich klassifizierte Projekte finden lassen.
    Geschüttelt, nicht gerührt
    IB

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  3. Kölsche Mädels21. Juni 2011 um 21:56

    Heute grüßen wir von einem - im Vergleich zu den vergangenen - eher ereignisarmen Mädelsabend aus Deutz. Neben klebenden Hintern, krümmeligen Brüsten und urlaubsentspannten Gemütern gab es auch hochintellektuelle Gesprächsthemen aus den Bereichen Theologie und Politik.
    Der nächste Mädelsabend findet mit Cameron Diaz und Justin Timberlake statt.
    Liebe Grüße in die Steppe von Mutti, Frau Bärchhaim und Püppi

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